496 Xxiii. §. 6. Nlederbeucning und Wiederaufrichtung der Papstmacht.
reits erfüllen zu sollen, wonach „die große Stadt, die das Reich hat
über die Könige auf Erden, von eben diesen Königen bloß und wüste
gemacht und mit Feuer verbrannt werden wird." Aber solche Zeit
steht noch bevor. Viel zu sehr hatte der katholische Kaiser den
Papst nöthig, als daß er ihn gänzlich hätte verderben sollen. Wir
sehen ihn bald wieder Unterhandlungen mit seinem Gefangenen an-
knüpfen, ihn freigeben, sich mit ihm verbünden. Mit heimlichem
Widerwillen, aber durch die Umstände gezwungen, tritt der Papst
wieder auf die Seite des Kaisers. Er muß den übermächtigen Nach-
bar in Italien dulden, muß sich bereit erklären, seine politischen Ent-
würfe zu unterstützen — aber Eins bedingt er sich dafür aus, Eins
gewährt ihm der Kaiser zur erwünschten Entschädigung: seinen kräf-
tigen Arm zur Ausrottung der lutherischen Ketzerei. Im Jahr 1529
kommt Kaiser Karl selber aus Spanien nach Italien. In Bologna
trifft er mit dem Papst zusammen. Er ist auf dem Wege nach Deutsch-
land. Da werden die schärfsten Maßregeln gegen die hartnäckigen
Ketzer in Deutschland verabredet. Und bemerken wir es wohl. Der
Kaiser war jetzt ein Anderer, als vor neun Jahren, er war jetzt in die
Jahre der Reife und der Selbständigkeit eingetreten. Von jetzt an
sehen wir ihn im Rache wie im Felde überall selbst an der Spitze,
bei ihm steht immer die letzte Entscheidung, überall sieht er selbst,
urthellt er selbst, handelt er selbst. Unermüdlich ist er in den Staats-
geschäften, unüberwindlich im Felde. Und alle dieft so lange gesparte
Kraft, alle den frischen Eifer einer langsam bedachten, aber nun ent-
schieden ergriffenen Politik ist der Kaiser entschlossen zur neuen
Kräftigung des Papstthums in Deutschland gegen die Protestanten
zu kehren.
Schon länger waren die ersten vorläufigen Wirkungen der neuge-
kräftigten Papstmacht und des entschieden kaiserlichen Katholicismus
in Deutschland wahrgenommen. Die katholisch gesinnten Fürsten und
Städte, insonderheit die geistlichen Fürsten, deren Eristenz bedroht
war, deren Besitzungen hier und da bereits eingezogen wurden, erhüben
wieder ihr Haupt, traten aus einer abwehrenden wieder in eine angrei-
fende Haltung. Da wurden die Lutherischen verfolgt, da wurde das
erste Märtyrerblut der evangelischen Kirche vergossen. Die Herzoge von
Bayern und die kleineren mit dem päpstlichen Legaten verbundenen Für-
sten und Bischöfe hatten gleich nach ihrer Absonderung von der großen
Gesammtaufgabe des deutschen Volks angefangen, evangelisch gesinnte
Priester zu entsetzen, in's Gefängniß zu werfen, adlige Besitzer aus
ihren Gütern zu vertreiben, Beamte peinlich zu verhören, Bürger und
Bauern hinzurichten. Besonders eifrige Prediger wurden mit der Zunge
an den Pranger genagelt, andere mit dem Staupbesen gestrichen, Luther's
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Italien Spanien Italien Bologna Deutsch- Deutschland Deutschland Deutschland Bayern
Xxiii. §. 6. Niederbeugung und Wiederaufrichtung der Papstmacht. 497
Bücher vom Henker verbrannt. In Karl's burgundischen Landen,
unter den Friesen, bei den Ditmarsen finden wir ähnliche Verfolgungen.
Wie schmählich sind die beiden jungen Mönche Vos und Esch in
Brüssel in den Flammen erstickt; wie schrecklich ist der fromme Hein-
rich von Zütphen in Meldorf zu Tode gemartert. Noch viel gewalt-
samer war man zu Werke gegangen nach dem Bauernkrieg. Unter
dem Vorwand, die Empörer zu strafen, schlug man die Evangelischen
nieder. In Franken wurden an 40 evangelische Prediger neben der
Landstraße an die Bäume gehenkt. Erzherzog Ferdinand, des
Kaisers Bruder, der 1526 die Kronen von Ungarn und Böhmen zu
gewinnen hoffte, zeigte sich zwar den Böhmen gegenüber gut husfitisch,
allein eben so entschieden trat er vor den Ungarn als strenger Katholik
auf. In Wien wurden evangelisch gesinnte Bürger enthauptet. Wirk-
lich gewann er beide Reiche und befestigte und vergrößerte die östrei-
chisch-habsburgische Hausmacht, während Karl's Heere die italienischen
Provinzen vertheidigten oder neu gewannen. Da hatte denn auch der
Reichstag, der 1529 nach Spei er zusammenberufen war, eine sehr
veränderte Gestalt. Die geistlichen Fürsten und ihre Freunde hatten
das entschiedene Uebergewicht. Die kaiserlichen Commissarien waren
so eifrig katholisch wie möglich. Sie beantragten nichts weniger, als
die Aufhebung des Reichstagsbeschluffes von 1526, wonach jeder Fürst
in Sachen der Religion sich nach eignem Gewissen zu verhalten hatte.
Keine Neuerung soll mehr vorgenommen werden, Alles soll bleiben wie
es ist, Messe und geistliche Gerichtsbarkeit wieder hergestellt und beibe-
halten werden bis zur Versammlung eines allgemeinen Conciliums.
Die Mehrheit der versammelten Reichsstände nahm diese Vorschläge
an; sie wurden zum Beschluß erhoben. Dadurch wäre das in den
letzten Jahren rechtsgültig aufgerichtete und durchgeführte Reformations-
werk wieder rückgängig gemacht, alle reformatorischen Stiftungen in
Frage gestellt worden. Die evangelischen Stände waren entschlossen,
sich den einseitigen Beschlüssen der katholischen Majorität nicht zu fügen.
In öffentlicher Sitzung legten sie eine feierliche Verwahrung dagegen
ein: sie würden sich nach wie vor nach dem Beschlüsse von 1526 halten,
dessen Rechtsverbindlichkeit nicht in Zweifel gezogen werden könne. Von
dieser ihrer Protestation führen sie den Namen Protestanten. So endigte
der Reichstag in offenbarer Entzweiung. Und der Kaiser? Da er
eben in Italien, alle seine Feinde als überwunden in demüthiger Hal-
tung vor sich sah, da er sich krönen ließ mit der alten römischen Kai-
serkrone, und den Schwur erneuerte, den Papst und die römische Kirche
gegen alle ihre Feinde zu vertheidigen, kam die Gesandtschaft der evan-
gelischen Stände aus Deutschland, und that ihm Meldung von der ge-
schehenen Protestation auf dem Reichstag zu Speier. Dürfen wir uns
wundern, daß er sie ungnädig empfing, daß er sich desto fester in seinem
Vorhaben bestärkte, diese ärgerlichen Wirren endlich zu beseitigen? Mit
den katholischen Ständen in der Schweiz hatte die habsburgische
Macht ein enges Bündniß geschlossen, in Folge dessen es zu einem
Krieg und nach einigen Jahren (1531) zu einer Niederlage der evan-
gelischen Züricher kam, in der auch Zwingli siel. Nichts Anderes,
v. Rohden, Leitfaden. 32
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Extrahierte Personennamen: Esch Ferdinand Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Karl's Brüssel Meldorf Ungarn Ungarn Wien Conciliums Italien Deutschland
498 Xxiii. §. 7. Bekenntniß und Bündniß der Evangelischen.
davon waren die Evangelischen in Deutschland überzeugt, hatten auch
sie zu erwarten. So wie der Kaiser sich den deutschen Grenzen
näherte, machte Jedermann sich auf schweren Krieg und Verfolgung
gefaßt.
§. 7. Bekenntniß und Bündniß der Evangelischen.
Was thaten nun Luther und seine Freunde, was thaten die Für-
sten und Städte, die ihm anhingen, als der mächtige Kaiser mit der
entschiedenen Absicht, sie zu verderben, über die Alpen daherzog? For-
derten sie mit feurigen Worten zum Widerstand auf, riefen sie ihre
Freunde und Genossen zum Kampf für die heiligsten Güter, für die
Freiheit der Predigt, für die Reinheit der Lehre? Nichts weniger.
Sie erklärten: um des Glaubens willen dürfe man nicht zu den Waf-
fen greisen, man müsse die Noth und den Schaden tragen. Der
Kurfürst von Sachsen war entschlossen, dem Kaiser sein Land zu öffnen,
und ihn darin nach Willkür verfahren zu lassen. Das war auch die
Meinung des Markgrafen von Brandenburg, der Stadt Nürnberg
und der anderen evangelischen Fürsten und Städte. Man hatte zwar
schon längst daran gearbeitet, sich näher zu verbinden, sich zu gemein-
samem Widerstand zu rüsten, besonders der feurige Landgraf Philipp
von Hessen hatte sehr dazu gedrängt. Aber jetzt, da der Kaiser er-
scheint, der rechtmäßige Oberherr, läßt man alle kriegerischen Gedan-
ken fahren. Man tritt zusammen, ja, man beräth sich, aber nicht
über Vertheidigungsanstalten, über Stellung von Mannschaft, Befe-
stigung von Schlössern, sondern über die Ausarbeitung einer kleinen
Schrift, über die Feststellung einer Reihe von Artikeln, über die Un-
terzeichnung eines Bekenntnisses, welches Melanchthon unter Luther's
Zustimmung ausgeschrieben, und welches nun die Fürsten von Sachsen
Hessen, Lüneburg, Anhalt und Brandenburg nebst etlichen Städten
sich aneigneten und Unterschrieben. Das ist die berühmte augs-
burgische Confession, das noch heute zu Recht bestehende Be-
kenntniß der evangelischen Christenheit, nebst Luther's Katechismus der
wertheste Eckstein der lutherischen Kirche. Sie ward am 25. Juni
1530 auf dem Reichstage zu Augsburg vor Kaiser und Reich feier-
lich verlesen, und von Allen, welche der Wahrheit die Ehre gaben,
mit größter Theilnahme und Beifall ausgenommen. Die Katholischen
konnten sie nicht widerlegen, obwohl sie es versuchten. Sie gaben es
bald auf, wider das Schwert des Geistes, wider das Wort Gottes
mit gleichen Waffen zu kämpfen; sie griffen schnell zu einer andern
Widerlegung — durch Gewalt. Zwar nicht die Mehrzahl der
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Extrahierte Personennamen: Jedermann Philipp
von_Hessen Philipp Melanchthon
500 Xxiii. §. 7. Bekenritniß und Bündniß der Evangelischen.
zertreten; ihnen ist nur wohl unter den Ruinen zerstörter Herrlichkeit,
sie gedeihen nur in verwüsteten, zu Grunde gerichteten Ländern. Und
diese Unholde hatten angefangen, auch unser deutsches Vaterland zu
bedrohen. Schon war Ungarn ihre Beute geworden. Auf dem
Schlachtfelde von Mohacz hatte der letzte König aus Dem Stamm der
Jagellonen (1526) fein Leben verloren. In Ofen hatte der stolze
Sultan Soliman eine Zeitlang seinen Sitz genommen; den ehrgeizi-
gen und gewissenlosen Johann Zapolpa, den Fürsten von Sieben-
bürgen, hatte er zu seinem Vertreter und Statthalter in Ungarn ein-
gesetzt. Da nun aber König Ferdinand sich die ungarische Krone
auf's Haupt zu setzen wagte, brach der zürnende Großherr mit
seinen Hunderttausenden wieder hervor aus seiner Hauptstadt, über-
schwemmte und verwüstete Ungarn unv lagerte sich im Herbst 1529
vor Wien. Da gerieth das ganze deutsche Volk in Schrecken. Die
Protestanten, obgleich sie eben erst auf dem Reichstag zu Speier vom
König Ferdinand und seinen Rathen so ungnädig behandelt und aus
dem Friedeil des Reichs ausgeschlossen waren, vereinigten ihre Fähnlein
und ihr Geschütz mit den Katholischen, um die „fremden Teufel" die
Donau hinunterzujagen. Und schon hatten die Janitscharen vor Wien's
Mauern den Muth verloren. Wie oft hatten sie gestürmt und waren
immer mit schwerem Verlust zurückgeworfen. Soliman sah, daß ihm
hier seine Grenze gesetzt sei, und wich zurück. Aber schon 1532 be-
wegte er sich mit größeren Heeresmassen abermals gegen die deutschen
Grenzen. Kurz vorher war, wie wir wissen, der Reichstag zu Augs-
burg gehalten, der sch m alkald i sch e Bund geschlossen; das deutsche
Reich war in einer schweren Spaltung begriffen. Soliman hatte
darauf gerechnet, die Deutschen wider einander zu Felde liegend zu
finden; er meinte, dies Mal würde kaum ein Grenzhüter da sein, ihm
Widerstand zu leisten. Wie hatte er sich verrechnet! Daö größte und
schönste Heer, welches Deutschland seit geraumen Jahren aufgebracht,
stand ihm gegenüber. Er wagte nicht es anzugreifen. Nach wenigen
Versuchen, in Steiermark einzudringen, um dort zu plündern, hatte er
sich entschlossen, zurückzugehen, ohne auch nur das Mindeste von seinen
großen Entwürfen in's Werk gesetzt zu haben. Woher nun diese Kraft
und Einigkeit der Deutschen? Nicht durch die Nachgiebigkeit der katho-
lischen Fürsten; die wollten wenigstens das gerichtliche Verfahren gegen die
Protestanten durchaus beibehalten wissen, mochte auch das Reich dar-
über zu Trümmern gehen. Es war vielmehr die Besonnenheit des Kai-
sers, welcher auch den Unwillen der katholischen Fürsten nicht scheute, als
die Noth de§ Augenblicks eine größere Nachgiebigkeit gegen die Prote-
stanten forderte, und es war die Vaterlandsliebe der Protestanten, die
nach Luther's ernster und begeisterter Aufforderung sich wie Ein Mann
gegen die Türken aufmachten, ohne mit berechnender Klugheit die schwie-
rige Lage des Kaisers und seines Bruders zu benutzen, um mehr als
Sicherheit, Ruhe und Frieden von ihnen zu begehren. Sie waren zu-
frieden, wenn sie geduldet wurden.
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Extrahierte Personennamen: Mohacz Soliman Johann_Zapolpa Johann Ferdinand Ferdinand
Extrahierte Ortsnamen: Ungarn Ungarn Wien Donau Deutschland
Xxiii. §. 8. Die Wiedertäufer.
501
§. 8. Die Wiedertäufer.
Nach dem Nürnberger Religionsfrieden hatten die Protestanten
länger als ein Jahrzehend hindurch vollkommene Ruhe, und die Re-
formation konnte stch ungestört über alle Gebiete des niedern Deutsch-
lands ausbreiten. Nur der Kurfürst von Brandenburg, Herzog
Heinrich von Braunschweig und Herzog Georg von Sachsen hiel-
ten sich noch streng zur katholischen Partei. Auch in Oberdeutschland
gewann die Reformation immer großem Raum. Das Herzogthum
Württemberg, welches König Ferdinand an sich gebracht hatte,
wurde ihm in einem günstigen Augenblicke durch den Landgraf Phi-
lipp von Hessen wieder abgenommen und dem angestammten Her-
zog Ulrich zurückgegeben. Der vollzog sofort die Reformation in
dem wiedergewonnenen Erbland, und König Ferdinand mußte sie
nicht bloß geschehen lassen, sondern den protestantischen Fürsten noch
etliche wichtige Zugeständnisse machen. Die Macht wie die Gunst,
deren sich der protestantische Bund erfreute, wuchs von Tage zu Tage.
Doch hatte der Herr auch jetzt dafür gesorgt, daß es an schweren
Aergernissen, an einem Pfahl im Fleische nicht fehle. Wie schon bald
nach dem Anbruch der Reformation, so erhüben sich auch jetzt wieder,
da sie sich in äußerer Ruhe vor allen ihren Feinden gedeihlich weiter
entwickeln konnte, aus ihrem eignen Schooße böse Mißgeburten, un-
gerathene Söhne, welche Schmach auf das Haupt ihrer Mutter luden
und Vieler Herzen und Augen von ihr hinwegwandten. Das waren
die Wiedertäufer. In der Schweiz begegnen wir ihnen zuerst.
Schon Zwingli hatte mit ihnen zu kämpfen. Ihr Name besagt, daß
sie die Kindertaufe verwarfen; und das war das Allen gemeinsame Er-
kennungszeichen. Aber sonst bildeten sie nicht im mindesten eine ge-
schlossene Gemeinschaft, waren durchaus nicht einig in ihren religiösen
Anschauungen, in ihren gottesdienstlichen Gebräuchen, ihren politischen
Forderungen. Es war eben die ganze Masse Derer, welche weder in
der lutherischen noch in der zwinglischen Form der Reformation sich
befriedigt fanden, welche etwas Anderes, Neues, Ungewöhnliches suchten
und erwarteten, und eine völlige Umgestaltung aller menschlichen Ver-
hältnisse, eine sichtliche Wiederkehr Christi, ein tausendjähriges Reich
jetzt gleich, sofort, erwarteten und herbeiführen wollten. Uebrigens hatten
sie die widersprechendsten Meinungen. Die Einen leugneten, daß
Christus Gottes Sohn, daß er der Erlöser der Welt sei, die Anderen
sahen in ihm den ewigen Gottesgeist, der nur scheinbar von einem
menschlichen Leibe umhüllt war. Hier waren Etliche, welche die strengste
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_von_Braunschweig Heinrich Georg_von_Sachsen Ferdinand Ulrich Ferdinand Christus_Gottes
Extrahierte Ortsnamen: Brandenburg Oberdeutschland Württemberg Hessen Christi
Xxiii. tz. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England. 805
solche unerbittliche Zucht, solch' methodischen Zwang, rücksichtslose
Festigkeit und enge unausweichliche Beschränkung des Lebens und
der Sitte, wie Calvin sie in Gens einführte. Aber in Deutschland
hat das Genfer Christenthum keinen Eingang finden können. Viel-
mehr hat sich die deutsche von Luther abweichende und mehr der
calvinischen Auffassung zugekehrte Form reformatorischen Glaubens
und Lebens in dem ausgezeichneten, um seiner Anlage und um seines
Inhalts willen hochgepriesenen Heidelberger Katechismus (1563)
ein neues Symbol und Palladium geschaffen, welches die calvinischen
Harten in glücklicher Weise vermeidet, ohne den Widerstreit gegen eine
Anzahl lutherischer Lehren und Fassungen fallen zu lassen. Wir mö-
gen diese im Heidelberger Katechismus vertretene Ausgestaltung refor-
matorischen Lebens als eine wahlberechtigte Ergänzung des lutherischen
Kirchenwesens anerkennen, mögen auch die Hoffnung nicht aufgeben,
daß eine tiefere Forschung vielleicht noch eine künftige Einigung in
der Lehre herbeiführen wird; aber unter allen Umständen bleibt doch
unverkennbar eine nicht auszusüllende Kluft zwischen lutherischem und
reformirtem Wesen, Bekenntniß, Gottesdienst, Anschauungen und Lebens-
formen. Jede Berührung mit der reformirten Christenbeit des west-
lichen Auslandes bringt und diese innerste (nationale) Verschieden-
heit sofort wieder zum Bewußtsein.
Schon gleich nachdem Luther den Kampf gegen das Papstthum be-
gonnen, zeigten sich auch in Frankreich selbst unter den Geistlichen
und in der Nähe des königlichen Hofes entschiedene Vorneigungen zur
evangelischen Predigt, aber auch sofort mit dem Beisatz der Härte und
Schroffheit, welche wir auch bei Calvin wahrnahmen. Die Predi-
ger und Seelsorger für die kleinen evangelischen Gemeinden, welche sich
unter dem Drucke blutiger Verfolgungen in Frankreich, unter offener Be-
günstigung in Navarra, bildeten, empfingen fast alle ihre theologische
Bildung auf der Hochschule Calvin's in Genf. Man sandte ihm
das Holz und er schnitzte die Pfeile daraus. So wurde Calvin die
höchste reformatorische Autorität Frankreichs. Nicht minder der
Niederlande. Luther's Auftreten hatte auch dort sogleich die reli-
giösen Bewegungen wach gerufen. Unter der strengen Ueberwachung
Karl's V. aber und seiner Statthalter waren die Niederländer bald
in dieselbe Lage gekommen wie die Evangelischen in Frankreich. Wie
das gleiche Unglück sie beide verband, so brachte es auch in beiden Län-
dern gleiche Wirkungen hervor. Durch die Verfolgungen wurde der
Haß gegen das Papstthum bis zur äußersten Gluth angefacht und
machte sich in schrecklichen Bilderstürmereien und in zwinglischer gänz-
licher Verwerfung aller katholischen Kirchenformen Luft. Zwar die
wilden Ausbrüche des Bildersturms und der Wiedertäuferei find schnell
unterdrückt, aber die Vorneigung zur calvinischen Fassung der prole-
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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512 Xxm. tz. 12. Krieg wider die Protestanten.
Karl's und Ferdinand's. Wie ganz Oestreich und Böhmen von
evangelischen Verneinungen erfüllt war, so erhub trotz aller Scheiter-
haufen und Marterwerkzeuge in Karl's Niederlanden die evangelische
Gesinnung immer unzweifelhafter das Haupt. Besonders seitdem
(1545) der ehrenwerthe Erzbischof und Kurfürst Hermann von
Köln den Entschluß gefaßt hatte, die Reformation in seinem Lande
einzusühren. Die Bisthümer Paderborn und Münster würden ge-
folgt sein. Der neuerwählte Erzbischof und Kurfürst von Mainz schien
nur eines solchen Beispiels zu bedürfen, um denselben Schritt zu thun.
Der Kurfürst von der Pfalz erklärte sich schon ganz entschieden evan-
gelisch. Schon wurde in Metz eine Reformation versucht. Wie hätte
Trier, wie hätte Utrecht, wie hätten die niederländischen Provinzen sich
länger unter katholischem Drucke halten lassen? Hier war cs für
Karl nothwendig geworden, zu einer Entscheidung zu kommen, entwe-
der in seinem eignen Lande den Protestantismus frei zu geben — aber
wie hätte er dann die Herrschaft in Spanien, in Italien, wie hätte
er die Kaisergewalt behaupten mögen? — oder den Protestantismus
aus allen Kräften zu bekämpfen. Ein anderer Grund. Seine ganze
Politik war seit einer langen Reihe von Jahren darauf hingegangen,
den Papst durch die Protestanten, die Protestanten durch den Papst
zu bedrohen, sie so beide seines Schutzes bedürftig zu machen, sie sei-
ner Leitung unterzuordnen. Nicht war er gemeint, das ganze katho-
lische System unverändert bestehen zu lassen. Er wollte es reformi-
ren, er wollte auch den päpstlichen Hof reformiren, aber dann sollten
auch die Protestanten sich mit den für die gesammte Kirche angeord-
neten Verbesserungen begnügen; es sollte wieder eine Einheit zu
Stande gebracht werden, und er der Kaiser wollte die wiederverei-
nigte Christenheit mit verstärkter Machtfülle beherrschen. Das Mit-
tel aber, wodurch er die Wiedervereinigung herbeiführen wollte, war
ein allgemeines Concilium, das unter seiner kaiserlichen Einwirkung
gehalten würde. Dies Concilium zu Stande zu bringen, darauf hin
waren alle seine Bemühungen seit vielen Jahren gerichtet gewesen.
Jetzt ward es eröffnet im December 1545. Aus Furcht vor der Rache
des Kaisers, der jetzt mit dem König von Frankreich, dem bisherigen
Schutzherrn und Bundesgenossen des Papstes, ausgesöhnt war, hatte
Papst Paul Iii. sich endlich entschlossen, das Concilium zu Trient zu
sammeln. Der Kaiser hoffte es ganz nach seinen Wünschen leiten zu
können. Da lag ihm aber Alles daran, daß die Prote ftanten das
Concilium beschickten und sich dessen Aussprüchen unterwarfen. Hät-
ten sich aber die Protestanten hierzu herbeilassen dürfen? Nimmer-
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Extrahierte Personennamen: Hermann_von
Köln Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: Karl's_Niederlanden Mainz Spanien Italien Frankreich
Xxni. §. 12. Krieg wider die Protestanten. 513
mehr, wenn sie nicht ihr eignes Dasein aufgeben wollten. So kam es
denn zum Kriege. Aber schon die Vorbereitungen der Protestanten
zum Feldzug wider den Kaiser waren fehlerhaft. Wie konnte es auch
anders sein, da ein Krieg gegen das anerkannte Oberhaupt unmöglich
mit reinem Gewissen unternommen werden konnte? Auch die Füh-
rung selbst war unsicher; die Entscheidung aber höchst unglücklich.
Erst wurde das ganze Oberland vom Kaiser unterworfen, Württem-
berg und die Städte von Augsburg bis Straßburg; dann ging die
Schlacht bei Mühlberg für die Protestanten verloren und die beiden
Führer der Evangelischen, der Kurfürst von Sachsen und der Land-
graf von Hessen, wurden gefangen und geriethen in des Kaisers
Gewalt.
Was sagte Luther zu diesem Angriff auf den rechtmäßigen Kaiser,
in den sein Landesherr um der Religion willen sich stürzte? Er würde
jetzt ihn schwerlich mehr gebilligt haben, als sechzehn Jahre früher, wo
er solche Gedanken weit von sich wies. Aber sein Mund war ver-
stummt. Der Herr hatte den Gerechten weggenommen vor dem Un-
glück. Am 18. Februar 1546 war er zu Eisleben gestorben. Als nach der
Schlacht von Mühlberg auch Wittenberg von den kaiserlichen Truppen
erobert wurde, verlangten die fanatischen Spanier, daß der Leib dieses
Erzketzers wieder ausgegraben und verbrannt würde. Aber der Kaiser
ließ es nicht zu. Er suchte vielmehr auf alle Weise diesem Kriege den
Charakter eines Religionskrieges zu nehmen. Er ließ den unterwor-
fenen evangelischen Ländern und Städten wenigstens so viel Freiheit
des Gottesdienstes und der Predigt, daß die evangelische Wahrheit da-
bei bestehen konnte, wenn auch nur kümmerlich. Er suchte die Deut-
schen glauben zu machen, daß er nur den Ungehorsam der beiden
Fürsten von Sachsen und Hessen und ihrer Bundesgenossen habe strafen
wollen, nicht ihren Glauben. Er hatte auch wohl Ursache, so zu
thun. Ein Kampf gegen die Gesammtmacht der Evangelischen wäre
denn doch über seine Kräfte gegangen. Da war es ein Meisterstreich
seiner Politik, daß er die Protestanten trennte, etliche von aller Theil-
nahme am Kriege fern hielt, wie z. V. den mächtigen Kurfürsten
Joachim von Brandenburg und sämmtlichc evangelische Fürsten des
Nordens, andere aber geradezu in seine Dienste nahm und selber gegen
ihre protestantischen Glaubensbrüder in's Feld führte, wie namentlich
den kühnen und angesehenen Herzog Moritz von Sachsen. An diesem
klugen, ehrgeizigen, kalt berechnenden, gewissenlosen Fürsten, derglei-
chen es glücklicherweise nicht viele in der ältern deutschen Geschichte
giebt, hatte der arge Feind aller Wahrheit und Gotlseligkeit einen
schrecklichen Gewinn gemacht. Mit einer Verstellung, einem Undank,
einer Treulosigkeit und Hinterlist, die ihres Gleichen sucht, fiel dieser
Moritz seinem blutsverwandten Vetter, der ihm arglos und vertrauend
den Schutz und die Obhut seines Kurfürstenthums übertragen hatte,
in's Land, während er selbst, Johann Friedrich, im Schwäbischen
v. Rohden, Leitfaden. 33
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Luther Mühlberg Joachim_von_Brandenburg Moritz_von_Sachsen Moritz Johann_Friedrich Johann Friedrich
514 Xxiii. §. 13. Krieg wider den Kaiser. Religionsfriede.
mit seinen Kriegsleuten gegen den Kaiser zu Felde lag. Da mußte der
Kurfürst eilends nach Hause kehren, dem Kaiser den Sieg an der Donau
überlassen und sich gegen den Verräther wenden. Es gelang ihm im
ersten Anlauf, sein Land wieder einzunehmen. Aber er wußte nicht,
daß der Kaiser, der ihm folgte, schon längst seine kurfürstliche Würde
und den größten Theil seines Landes dem Verräther Moritz zugesagt
hatte. Als ein armer Gefangener, vom Tode bedroht, mußte er nach
der Schlacht bei Mühlberg dem Hofe des siegreichen Kaisers folgen. Da
frohlockte die gestimmte katholische Welt, da frohlockte der Papst. Auch
der Papst? Nein doch, im Gegentheil. Schon ehe der Kaiser sich nach
Sachsen wandte, hatte der Papst die Truppen, mit denen er das kai-
serliche Heer verstärkt halte, abgerufen, hatte das Concilium, welches
allen Unternehmungen des Kaisers zur Grundlage diente, von Trient
nach Bologna versetzt. Denn er fürchtete die durch solche Siege stets
wachsende Macht des Kaisers nicht minder als die Protestanten selber.
Er hätte gewünscht, daß die Protestanten, wenn auch nicht siegen, doch
den Krieg lange Hinhalten, den Kaiser schwächen möchten, damit Karl
nur nicht freie Hände bekäme, um jene Reformen des päpstlichen Hofes
und Systems durch das Concilium zu vollziehen, welche dem Papste
Furcht und Grauen erregten.
§. 13. Krieg wider den Kaiser. Religionsfriede.
Dem Kaiser schien Alles gelingen zu sollen. In ganz Deutsch-
land hatte er keinen Widerstand mehr zu befahren, außer in den nörd-
lichsten Gegenden, an der Weser, der ihm keiner Beachtung werth
schien. An den Reichstagen Geeiferten sich Fürsten und Prälaten, ihm
ihre Unterthänigkeit zu bezeugen. Er setzte durch, was er nur wollte,
und verbarg es keinen Augenblick, daß er die freien deutschen Fürsten
und Städte eben so vollständig sich zu unterwerfen hoffe, als seine
Grande« und Communidades in Spanien. Gegen alle Verträge
war er fortwährend von spanischem Kriegsvolk umgeben, und diese
Spanier behandelten Hoch und Niedere in Deutschland so frech und
übermüthig, mit so trotzigem Hohne, daß ein allgemeiner Haß gegen
sie sich bei den Deutschen festsetzte. Es konnte aber nicht anders sein,
dieser Haß wandte sich allmälig gegen den Kaiser selber. Sämmt-
liche deutsche Fürsten theilten ihn, es war nur eine Stimme bei Pro-
testanten und bei Katholiken über die Gefahr der Knechtschaft, mit der
Deutschland bedroht sei. Selbst Ferdinand, des Kaisers Bruder,
sonst sein ergebenster Freund und Rathgeber, wich jetzt von ihm ab.
Bei den Protestanten aber kamen noch ganz andere Gründe hinzu.
Wie drängte sie der Kaiser mit seinen kirchlichen Anordnungen, mit
seinem Interim, die doch gegen ihr Gewissen gingen. Priesterehe
und Laienkelch, eine leichte Abwandlung der Messe, und eine ziemlich
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Extrahierte Personennamen: Moritz Karl Karl Ferdinand Ferdinand Rathgeber
Extrahierte Ortsnamen: Donau Mühlberg Sachsen Bologna Spanien Deutschland Hohne Deutschland
Xxiii. §. 13. Krieg Wider den Kaiser. Religionssriede. 815
zutreffende Lehre von der Rechtfertigung, das war Alles, was er ihnen
noch ließ. Dagegen alle den schnöden Pomp des katholischen Got-
tesdienstes, von dem die Gemüther sich längst abgewandt, die Abgöt-
terei der Heiligenverehrung und des Mariendienstes, die ganze bischöf-
liche Verfassung und geistliche Oberherrlichkeit wollte er ihnen wieder
aufdrängen. Wie ist da geseufzt, wie ist da gebetet worden, wie viel
vertriebene Lehrer und Prediger, die sich solchem Interim nicht fügen
wollten, erfüllten mit ihren Klagen das Land! Der Kaiser aber
glaubte nun die Mittel in Händen zu haben, um den Kirchenstreit
für immer beilegen und alle religiösen Wirren zu Ende bringen zu
können. Aus den feindselig gesinnten Papst Paul Iii. war 1549
ein durchaus kaiserlich gesinnter Papst Julius 111. gefolgt, und der
hatte sich nicht entziehen können, das aufgehobene und nach Bologna
verlegte Concilium abermals in Trident zu eröffnen 1551. Und nun
trieb der Kaiser unablässig die protestantischen Fürsten, auch ihre
Theologen und Abgeordneten nach Trident zu senden. Er wollte eine
kräftige, durchgreifende Reform durch das Concil herbeiführen, aber
dann auch selber mit den Waffen in der Hand dessen Beschlüsse voll-
strecken. Da wußten alle evangelischen Gemüther, wessen sie sich in
nächster Zukunst zu versehen hätten von diesem gewaltthätigen, rach-
süchtigen, schonungslosen Kaiser. Welche Schmach that er fortwäh-
rend dem gefangenen Landgraf von Hessen an, den er doch nur auf
betrügliche Weise in seine Gewalt bekommen. Alle Bitten, alle Vor-
stellungen der sämmtlichen deutschen Fürsten dienten nur dazu, das Ge-
fängniß des unglücklichen Fürsten zu verschärfen, der jetzt schwer die
Fehltritte früherer Jahre büßte. Auch Johann Friedrich war und
blieb in Haft, ein wahrhaft evangelischer Bekenner. War Deutschland
wirklich so tief geknechtet, daß Niemand mehr es wagte, dem allgemeinen
Unwillen Ausdruck zu geben, und auf Grund der bestehenden Ver-
träge den Kaiser zu zwingen, daß er wenigstens die in die Augen fal-
lenden Ungerechtigkeiten abstellte? Allerdings. Er erhub sich noch
einmal der deutsche Freiheitsstnn in aller seiner Kraft, nur leider in
tumultuarischer unsittlicher Weise. Sein Ziel erreichte er. Der Kai-
ser ward von einer protestantischen Kriegsschaar überrascht, überwun-
den und zupassau 1552, dann zu Augsburg 1555 der sogenannte
Religionssriede ihm abgenöthigt, der den Protestanten ein ungezweifel-
tes Recht des Daseins und friedlichen Bestehens sicherte.
Der Mann, welcher auch dieö Mal wieder einen so gänzlichen Um-
schwung aller bestehenden Verhältnisse herbeifuhrte, war derselbe Moritz
von Sachsen, durch dessen Verrath und Abfall in den Jahren 1546
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Extrahierte Personennamen: Johann_Friedrich Johann Friedrich Moritz
von_Sachsen